Pater Donatus Leicher O.P. Predigt
zum Patronatstag der Hl. Vier Gekrönten am 08.11.2014 im Münster
zu Straßburg.
Ich begrüße Sie im Namen des dreifaltigen Gottes des Vaters, des
Sohnes und des Hl. Geistes, der Ehrwürdigen Mutter Maria und der Vier
Gekrönten, die wir als Schutzpatrone der Steinmetze verehren.
Es sind die gleichen Worte, mit denen die alte Straßburger
Steinmetzordnung von 1459 beginnt, auf die im ganzen Abendland die
Steinmetze verpflichtet waren. Und so sind heute Abend aus ganz Europa
Steinmetze und Bildhauer in diesem ehrwürdigen Münster zu Straßburg
zusammen gekommen, um ihrer himmlischen Schutzpatrone zu gedenken.
Ich begrüße aber auch alle hier Anwesenden, die sich den ethischen
Werten dieser Straßburger Hüttenordnung verpflichtet fühlen.
Vor 1000 Jahren wurde der Grundstein für dieses Bauwerk gelegt, in
dem wir diesen Dankgottesdienst feiern dürfen, Tausende von unseren
Kollegen im Steinmetzhandwerk haben mit ihren Händen, ihrem Geist und
mit ihrem Herzen dieses Wunderwerk der Gotik geschaffen. Sie haben sich
bei ihrer Arbeit nach dem rechten Maß und der gerechten Ordnung
gerichtet, sodass die Schönheit dieses Münsters erstehen konnte.
Doch wer denkt heute bei der Betrachtung der wunderbaren Rosette an
der Westseite des Münsters, wenn die Abendsonne sie bescheint, noch an
die Steinmetze, die sie mit ihren begnadeten Händen geschaffen haben?
Viele von ihnen sind früh gestorben, weil der Staub der Steine ihre
Lungen versteinert hat. Ihrer wollen wir in dieser Stunde vor Gott
dankbar gedenken. Er möge ihr Lohn sein. Wir, die wir noch am Leben
sind, wollen uns wie sie unter den Schutz der Vier Gekrönten stellen.
Ihre Namen sind: Claudius, Castorius, Symphorianus und Nicostratus. Sie
waren römische Steinmetze, die in den Steinbrüchen von Pannonien, dem
heutigen südlichen Ungarn, gearbeitet haben. Und weil sie Christen
waren, haben sie sich dem Befehl des Kaisers Diokletian* gegenüber
geweigert, heidnische Götterbilder aus dem dortigen Stein zu schlagen,
obwohl sie wussten, dass auf dieser Verweigerung der Tod stand. Sie
hielten als Christen die Treue zu ihrem Glauben. Durch alle
Dunkelheiten der vergangenen Jahrhunderte leuchtet das Vorbild ihrer
Standhaftigkeit als Christen bis in die heutige Abendstunde. Und
deshalb haben die Steinmetze des Abendlandes sie zu ihren
Schutzpatronen erhoben.
Meine verehrten Schwestern und Brüder im Glauben! In den
Bauhütten, die sich der alten Tradition verpflichtet fühlen, gibt es
noch heute den Brauch, dass der Steinmetz, der die Hilfe seines
Kollegen braucht, auf ihn zugeht und mit dem uralten Spruch ihn
anredet: „DU BIST ANGESPROCHEN“. Und der auf diese Weise Angesprochene
lässt seine eigene Arbeit ohne Widerspruch liegen und hilft seinem
Kollegen, egal wie lange seine Hilfe gebraucht wird. Ist die
Hilfeleistung beendet, wird er mit dem ebenso alten Spruch
verabschiedet: „OBLIGIERT UND BEDANKT SEI DER HERR“, d.h. auch, ich
verpflichte mich, Dir zu helfen und bedanke mich.
Und genau so spricht uns der Meister JESUS CHRISTUS in seiner frohen
Botschaft an, wenn er sagt: „IHR SEID DAS LICHT DER WELT ! … IHR SEID
DAS SALZ DER ERDE !“ Die Steinmetze, die dieses Münster erbaut haben,
lebten und wirkten aus dem Geist dieser Botschaft. Die lichtvollen
Gestalten des Engelspfeilers, ganz in der Nähe, künden davon; und der
weite, hohe, lichtvolle Raum gibt den Klang der menschlichen Stimme im
Lied wie ein himmlisches Jubilieren wieder. Nehmen wir doch die
Botschaft des Evangeliums auf und werden wir Lichtgestalten in der
Dunkelheit in unserer Zeit. Zwei dieser Lichtgestalten in unserer
Zeit durfte ich als französischer Kriegsgefangener im
Stacheldrahtseminar als Theologe in Chartres begegnen. Die eine war der
deutsche Priester Abbé Franz Stock. Er war Pfarrer der deutschen
Gemeinde in Paris und hat seine physische und geistige Kraft verzehrt
für die Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich. 1945 bekam er
von der damaligen französischen Regierung den Auftrag, das
Stacheldrahtseminar in Chartres zu gründen, und er hat es mit seiner
letzten Kraft zwei Jahre geleitet. Wenige Monate nach der Auflösung
starb er. Die zweite Lichtgestalt, der ich als Kriegsgefangener
begegnen durfte, war der damalige Nuntius in Paris, Angelo Roncalli,
der uns mehrmals hinter Stacheldraht besuchte und der vor einigen
Monaten als Papst Johannes XXIII. heilig gesprochen wurde. Beide haben
mein Leben geprägt. So darf ich heute Abend, im 94. Jahr meines Lebens,
vor Ihnen stehen, um Ihnen die Botschaft JESU zu verkünden: …auch Ihr
seid das Licht der Welt, …auch Ihr seid das Salz der Erde. Welch hohe
Berufung: LICHT zu sein in der Dunkelheit unserer Zeit.
Meine verehrten Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich stehe als Priester und
als Steinmetz vor Ihnen. Auch meine Hände haben versucht, den Stein zum
Reden zu bringen. Und so weiß ich, wie hart der Stein sein kann und wie
viel Geschick, Einfühlungsvermögen und Geduld es braucht, bis er zum
Reden bereit ist. Aber ich habe auch erfahren, wie groß die Freude sein
kann, wenn das Werk der Hände gelungen ist. Die Steine, die uns
umgeben, sind bereit zu sprechen. Schenken wir ihnen unser Gehör. Sie
können uns viel erzählen.
AMEN
*römischer Kaiser Diocletian (ca. 243-305) – Befehl, ein Bild des
Gottes Asklepios zu schaffen, der als Gott der Medizin und Heilkunst
verehrt wurde. Voller Zorn über die Weigerung, befahl der Kaiser, die
vier Steinmetze in Bleisärge einzuschließen und am 8. November in einen
Fluss zu werfen.
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